«Wenn es Spass macht, gibt es keine Grenzen»
Seraina Gysin, 25 Jahre jung und bereits Mitglied der Geschäftsleitung der A Energie AG, ist für die Planung von Anlagen, ebenso für die Projekt- und Bauleitung thermischer Netze und Wärmeerzeuger zuständig. Mit Empathie sorgt sie sich als Berufsbildnerin im Betrieb um die Lernenden – aus Erfahrung, dass berufliche Wege nicht immer geradlinig verlaufen.
Interview: Manuel Fischer, Fotos: Annette Boutellier
Im seeländischen Studen, entlang der Landstrasse nach Biel sticht ein modernes Gewerbegebäude in Holzverschalung heraus und begrüsst Neueintretende mit Wohlgerüchen eines eingemieteten Teegeschäfts. Das Planungsbüro A Energie AG hat sich in einer oberen Etage eingemietet. Das Unternehmen hat sich rasch aus einer Einzelfirma entwickelt und beschäftigt heute 55 Mitarbeitende, die vorwiegend Gesamtprojekte im boomenden Bereich der Fernwärme realisieren. Seraina Gysin empfängt uns in einem Besprechungszimmer neben einer Teeküche – mit Blick auf eine grossflächige solarthermische Anlage, die auf dem Schrägdach installiert worden ist. Nebst ihren vielfältigen Aufgaben ist ihrem Planungsteam ein Lernender und ein Quereinsteiger unterstellt.
Nebst Planung, Bau- und Projektleitung bist Du auch verantwortlich für die Betreuung der Lernenden im Betrieb. Macht diese Aufgabe Freude?
Seraina Gysin: Ich übernahm die Verantwortung für Lernende, weil wir auf unserer Branche einen grossen Fachkräftemangel haben. In ländlichen Regionen sind wenige Lehrstellen im Bereich Planung vorhanden, aber es gibt auch zu wenig interessierte Schulabgänger für unsere Berufe.
Mein Wissen weiterzugeben, macht mir Freude, so wie es bei meiner Ausbildung schon so vermittelt worden ist. Mir ist es wichtig, dass die jungen Leute wissen: Es gibt keine Grenzen. Ihr könnt alles schaffen, was ihr wollt, wenn es Euch Spass macht, dann fällt es einem leichter.
Drehen wir ein wenig die Zeit zurück. Irgendwann kam die Frage der Berufswahl auf. Was wolltest Du werden?
Während der Primar- und Sekundarschule hatte ich die Idee, Drogistin zu werden. Ich ging auch in diesem Beruf schnuppern, merkte aber schnell: Das ist absolut nicht mein Ding.
Wie ging es weiter?
Ich erinnere mich an einen Vater-Tochter-Tag in der Schule. Mein Vater war Angestellter bei einem Transportunternehmen, welches Hackschnitzel liefert. Da ich in den Schulferien so oder so mit ihm die ganze Zeit mit dem LKW unterwegs war, gab es da für mich nichts Spannendes und Neues zu entdecken.
Da kam mir in den Sinn, dass im Büro des Transportunternehmens ein Heizungsplanungsbüro eingemietet war, wo meine Cousine arbeitete. Also verbrachte ich den Vater-Tochter-Tag mit meiner Cousine, was mir sehr gut gefallen hat. Ich hatte da aber noch grosse Zweifel, ob ich das packen könnte, da ich während der Sekundarstufe I[1] in einem unteren Leistungsniveau eingeteilt worden war.
Lag es an bestimmten Fächern?
Ich hatte im Klassenvergleich eher gute Noten. Und in unserer Klasse hatten wir motivierende und gute Lehrer: «Ihr könnt alles schaffen, wenn ihr nur wollt.» Ich hätte in das höhere Leistungsniveau wechseln können, wollte dies aber aus persönlichen Gründen nicht.
Wie waren Deine Erfahrungen bei der Suche nach einer Lehrstelle?
An gewissen Orten, wo ich mich beworben hatte, hiess es: Schulabgänger mit Niveau A* nehmen wir nicht. Für unseren Beruf braucht es mindestens die Stufe E. Dennoch hatte ich das grosse Glück, einen Ausbildungsbetrieb zu finden.
*Kt. Baselland – Niveau A, E und P
Wie hat Dich Deine Lehrzeit geprägt? Gab es auch Motivationskrisen?
Das zweite und dritte Lehrjahr war schwierig. Ich fragte mich: Will ich das wirklich?
Dies auch aus dem Grund, weil ich nur mit dem Lehrmeister das Büro teilte. Bevor ich die Berufslehre startete, erlitt er einen Herzinfarkt. An meinem ersten Arbeitstag händigte er mir eine Notfallliste aus, um reagieren zu können, falls es zu einem zweiten Herzinfarkt käme.
Aber ich hatte ein ganz gutes Verhältnis mit ihm – das ich heute noch pflege. Aber es war nicht immer einfach, da er oft als Einzelunternehmer unterwegs war und ich allein das Büro hüten musste. Ich musste mir vieles selbst beibringen. Manchmal musste ich über mich selbst hinauswachsen. Ich verglich mich oft mit meinen Schulkollegen, welches Wissen und welche Fähigkeiten sie schon erwerben konnten; da fühlte ich mich im Hintertreffen.
Vor allem die Heizlastberechnung machte mir grosse Sorgen, da dieses Berechnungsverfahren bei einer Spezialisierung auf thermische Netze kaum eine Rolle spielt. Mein Lehrmeister entgegnete mir nur: ‹Das ist nicht so schwierig, das lernst Du schnell. Da sehe ich nicht so Probleme›.
Im Rückblick muss ich schmunzeln: Denn im ersten Lehrjahr kam der mir anvertraute Lernende mit denselben Bedenken zu mir. Ich beruhigte ihn mit denselben Worten: ‹Du kannst es mir glauben. Es ist nicht so schwierig.›
Was stachelte Dich zur Weiterbildung an?
Ich war in einem grossen schweizweit tätigen Planungsbüro tätig, als mir erstmals der Gedanke zur Weiterbildung kam. Denn gerade in Ingenieurbüros ist man eben einfach nur ausführender Planer. Um mehr Verantwortung zu übernehmen, braucht es eben eine höhere Qualifikation. Den Infobrief zur Meisterin Wärmetechnikplanung hatte mir übrigens mein ehemaliger Lehrmeister zugespielt. Ich zögerte nicht lange mit der Anmeldung. Und zwischenzeitlich kam die Anfrage von meinem jetzigen Arbeitgeber, ob ich nicht als Projektleiterin einsteigen wolle.
Von meinem Lehrmeister konnte ich sehr viel lernen, gerade in der Spezialbranche Fernwärmetechnik. Dass ich heute mit 25 Jahren Mitglied der Geschäftsleitung bin, Projekt- und Bauleitung verantworte, statische Berechnungen sowie auch die komplette Planung von thermischen Netzen und Fernwärmezentrale ausführe, habe ich alles ihm zu verdanken.
Zieht Dich ein Unternehmen möglicherweise mehr an, welches quasi aus einer Hand plant und ausführt?
Ja, auf jeden Fall finde ich das interessant und es wird auch ein ganz anderer Umgangston gepflegt als in einem reinen Planungsbüro. Von den eigenen Monteuren bekommt man es viel schneller mit, wenn etwas falsch geplant worden ist und das ziemlich direkt. (Lacht…). Daraus lernt man auch wieder.
Viele durchlaufen eine zweistufige höhere Berufsbildung, bei Dir war das anders.
Ich habe den eidgenössischen Fachausweis zum Projektleiter nicht angestrebt.
Ich steuerte direkt vom eidgenössischen Fähigkeitszeugnis den Meistertitel an. Das ist auch möglich, falls man als Kandidat/in 4 Jahre Berufserfahrung bis zum Antritt an die eidgenössische Prüfung aufweisen kann.
Bei der Weiterbildung läuft nie alles wie am Schnürchen. Es gibt Fächer, die einem mehr oder weniger leicht fallen.
In meiner Erinnerung gab es in vielen Modulen Inhalte und Methoden, die mir leicht fielen wie Präsentationstechniken, Lernende führen, Schulungen geben und so weiter.
Etwas mehr Mühe bereitete mir die Koordination der Wärmetechnik mit anderen Gewerken wie der Sanitär- und Lüftungstechnik.
Von einem Meister oder Meisterin seines Fachs erwartet die Kundschaft, dass er oder sie eines Tages ein Unternehmen selbständig führen kann. Erlernte man auch kaufmännische Fächer wie Buchhaltung in der Weiterbildung?
Das war leider nicht Teil der Ausbildung. Das monierten wir auch in der Nachevaluation des Ausbildungsgangs.
Auch hier wieder die Frage: Gab es auch eine Motivationskrise? Immerhin ist eine berufsbegleitende Ausbildung eine zeitliche Zusatzbelastung.
Ich hatte die Corona-Zeit genutzt für meine Weiterbildung. Ich hatte den Eindruck: Man kann momentan nicht viel anderes machen, also nahm ich mir die Zeit für eine Ausbildung. Wir erledigten vieles in der Form von Home-Schooling, das ging alles tiptopp.
Welchen Rat gibst Du Jugendlichen, die in der Berufswahl sind. Man hört ja viel, dass sie immer noch in denselben Berufsbildern verharren.
Es kommt immer auf die persönlichen Neigungen an. Ich könnte beispielsweise niemals in der Pflege arbeiten. Viele kennen meinen interessanten Beruf gar nicht. Häufig werde ich komisch angeschaut: Was machst Du? Dann entgegne ich jeweils: Du hast ja auch gerne warm in Deinem Haus. Dann kommt oft die erstaunte Rückfrage: Ach so, dazu braucht es eine separate Planung? Viele sind der irrigen Meinung, dass der Hochbau sich um alles kümmert.
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suissetec.ch/de/Bildung
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Allg. Infoveranstaltung
(div. Angebote; u.a. Projektleiter GT FA)
Datum Mittwoch, 15. Mai 2024
Zeit 18.30 – 20.00 Uhr
Ort Grundstrasse 1, 4654 Lostorf
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Bearbeitung durch: Redaktion Phase 5
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