Nathalie Casas, Corinne Reimann, und Christoph Kellenberger, Empa
Im Gespräch: Nathalie Casas, Departementsleiterin «Energie, Mobilität und Umwelt» und Direktionsmitglied der Empa (Mitte), Corinne Reimann, Leiterin Garantie, Implenia Schweiz AG (links) und Christoph Kellenberger, Mitgründer und Mitglied der Geschäftsleitung, OOS. Bild: Empa

Empa schlägt mit «Mining the Atmosphere» die Transformation von einer CO2-emittierenden zu einer CO2-bindenden Gesellschaft vor. Dabei soll das Treibhausgas als wertvoller Rohstoff – etwa als Zuschlagstoff auf Kohlenstoffbasis für Beton oder als Wärmedämmstoff – genutzt und langfristig gespeichert werden.


Redaktionelle Bearbeitung: Phase5


In der NEST-Unit «Beyond Zero» werden erstmals solche Materialien verbaut und getestet. Dabei arbeiten Forschung, Industrie und Planung Hand in Hand.

Im Interview beleuchten Nathalie Casas (Empa), Corinne Reimann (Implenia) und Christoph Kellenberger (OOS) das zukunftsweisende Projekt aus unterschiedlichen Perspektiven.

Nathalie Casas, wieso müssen wir handeln? Wieso braucht es «negative emissions technologies» (NET)?

Nathalie Casas: Die CO2-Emissionen steigen jede Minute. Wir haben Stand heute schon zu viel CO2 emittiert, um das 1,5 Grad-Ziel noch erreichen zu können. Das heisst: Wir müssen handeln! Mit NET, also «negative emissions technologies», können wir überschüssiges CO2 aus der Luft holen und so rückwirkend die Atmosphäre säubern. Neben den historischen Emissionen wird es aber auch in Zukunft schwer zu vermeidende Emissionen geben. Das sind Emissionen, die mit aktuellen oder zukünftigen Technologien nicht oder nur schwer reduzierbar sind, etwa Flug- oder Landwirtschaftsemissionen. Diese müssen wir mit NET kompensieren.

Die «Mining the Atmosphere»-Initiative wurde erfolgreich lanciert. Der Bau der «Beyond Zero»-Unit im Forschungs- und Innovationsgebäude NEST an der Empa befindet sich in Planung. Was braucht es als nächstes?

Nathalie Casas: Vieles! Das wichtigste sind Taten: Wir müssen uns vom Climate-Talk zur Climate-Action bewegen. Wir müssen neue Technologien, die sich noch auf Laborebene befinden, marktreif machen und solche, die bereits marktreif sind, implementieren. Mit der geplanten NEST-Unit «Beyond Zero» treiben wir dies im Bausektor voran. In der Unit werden neue Materialien getestet und verbaut, die CO2-reduzieren oder bereits CO2-negativ sind. Diese innovativen Materialien funktionieren im Labor, werden nun aber aufskaliert und marktreif gemacht. Dies bringt viele Fragen mit sich, zum Beispiel: Wie werden sie produziert? Gibt es entsprechende Richtlinien? Wichtig dabei ist, mit den richtigen Partnern zusammenspannen.

Planerinnen und Planer an Bord holen

Wieso ist es wichtig, bereits bei der Entwicklung neuer Baumaterialien auch Planerinnen und Planer mit an Bord zu holen, Christoph Kellenberger?

Christoph Kellenberger: Zum einen bestimmen wir Architektinnen und Architekten mit dem Entwurf auch das Konstruktionsprinzip und damit die Baustoffe für ein Gebäude. Entsprechend ist es förderlich, die Planenden bereits bei der Entwicklung neuer Baumaterialien im Boot zu haben – denn damit fliesst Praxiswissen in den Innovationsprozess ein. Zum anderen können wir neues Wissen auch in die Planungs- und Baubranche hineinbringen, und aufzeigen, wieso wir welchen neuen CO2-neutralen oder CO2-negativen Baustoff einsetzen können. Es geht ja darum, jetzt diesen Kohlenstoff-Speicher im Gebäudepark aufzubauen.

Wie schätzen Sie das wirtschaftliche Potential von NET in der Baubranche ein, Corinne Reimann?

Corinne Reimann: Für die Baubranche sind NET eine grosse Chance. Denn sie ermöglichen der Branche, zum Beispiel mithilfe von CO2-neutralen oder CO2-negativen Materialien wie Beton, einen entscheidenden Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten zu können. Momentan hinkt die Branche im Bereich Nachhaltigkeit bekanntlich etwas hinterher – sie hat aber speziell mit solchen Materialien einen enorm grossen Hebel.

Wo liegen die grössten Herausforderungen bei diesem Vorhaben?

Corinne Reimann: Wenn die Funktionalität des neuen Betons gewährleistet ist, so dass er alternativ zu herkömmlichem Beton eigesetzt werden kann, ist die potentiell einsetzbare Menge enorm. Danach sehe ich als Hürde nur noch die Wirtschaftlichkeit, also den Preis des neuen Betons. Und diese Hürde darf nicht unterschätzt werden: Denn was sich bis jetzt beobachten lässt, ist ein Mangel an Bereitschaft, zusätzliche Kosten zu tragen. Dies ist schon im Kleinen ersichtlich, etwa bei einem wassersparenden Hahn: Wenn es sich rechnet, sind alle dabei, sobald es aber teurer wird, ist die Bereitschaft leider klein. Ich bin der Meinung, dass wir diese Transformation nur mithilfe von Subventionen starten können, denn schlussendlich muss die Baubranche wirtschaftlich handeln.

Christoph Kellenberger: Ganz genau. Wie aber vorhin erwähnt, sehe ich einen weiteren springenden Punkt bei der Wissensvermittlung – natürlich neben marktgerechten Baumaterialien, Produkten und Konstruktionsprinzipien. Es muss transparent und nachvollziehbar dargestellt werden, wie diese einsetzbar sind und welcher Effekt damit erzielt werden kann. Am einfachsten gelingt ein breiter Einsatz, wenn die neuen Materialien vereinfacht gesagt «erheblich besser sind», als das, was heute auf dem Markt ist. Dann werden auch neue Anbieter diese neuen Produkte pushen. Aber nochmal zurück zur Wissensvermittlung: Ich bin der Meinung, dass wir der Planungs- und Baubranche zum einen klar aufzeigen müssen, dass sie mit rund 40% des aktuellen CO2-Ausstosses für Betrieb und Erstellung einen erheblichen Hebel bei der CO2-Reduktion haben. Zum anderen braucht es einfache, praktikable neue Konstruktionslösungen für den Einsatz solcher Materialien, die Kohlenstoff im Gebäudepark speichern. Dieses Wissen muss in den Praxisalltag fliessen.

Emissionen aufräumen immer teurer als Emissionen vermeiden

Sogenannte Rebound-Effekte führen durch veränderte Verhaltensmuster dazu, dass ursprünglich erzielte Einsparungen teilweise wieder zunichtegemacht werden. Oft wird dies bei Massnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz beobachtet. Wie schätzen Sie das Risiko für einen Rebound-Effekt bei dieser CO2-reduzierenden Lösung ein? Könnten NET indirekt zu einem Anstieg der CO2-Emissionen führen, weil dann quasi «mit gutem Gewissen» mehr gebaut wird?

Nathalie Casas: Ganz grundsätzlich: Das darf nicht passieren. Denn Emissionen aufzuräumen wird auch mit der besten Technologie immer teurer bleiben, als Emissionen zu vermeiden. CO2 aus der Atmosphäre zu filtern ist mit grossen Kosten und einem grossen Aufwand verbunden. Diese Kostenwahrheit muss global geschaffen werden. Dadurch können wir verhindern, dass falsche Annahmen getroffen werden, die zu mehr Emissionen führen. Von dieser globalen Kostenwahrheit sind wir aber noch sehr weit entfernt. Da müsste sich vor allem die Politik einschalten. Dies ist jedoch nicht ganz einfach, weil es eine weltweite Angelegenheit ist. Heisst: Das Problem ist global, die Handlung hingegen lokal. Das stellt uns vor grosse Herausforderungen. Es geht also in einem ersten Schritt darum, die Bevölkerung entsprechend zu informieren. Denn NET sind auf gar keinen Fall ein Freipass dafür, mehr CO2 zu emittieren.

Welchen Beitrag muss die Gesellschaft bei dieser Transformation leisten?

Nathalie Casas: Wir brauchen jede und jeden. Ich bin der Meinung, dass wirtschaftlich und technologisch führende Länder wie die Schweiz als Beispiel vorangehen müssen. Es kann überwältigend wirken, wenn man sieht, vor welchem Berg an Aufgaben wir stehen. Aber es ist wichtig zu wissen, dass jeder kleine Beitrag hilft.

Und wie sieht's mit der Wirtschaft und der Politik aus?

Christoph Kellenberger: Die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen. Am schnellsten und einfachsten wäre wohl eine Transformation über das Portemonnaie: CO2-Emissionen müssten einen fairen Preis erhalten. Baumaterialien und -konstruktionen müssten als zertifizierte Kohlenstoffsenke klassifiziert werden. Damit wäre eine rasche Transformation der Bauwirtschaft möglich. Mit neuem und altem Wissen lässt sich schon heute problemlos ein über den gesamten Lebenszyklus CO2-neutrales Gebäude entwerfen, konstruieren, bauen und betreiben. Andere Ansätze funktionieren, wie wir leider sehen, nur bedingt. Wenn alles gleichbleibt bezüglich Rahmenbedingungen, müssen die neuen Produkte und Konstruktionsweisen einfach den Markt schlagen. Auch das ist möglich – aber erheblich anspruchsvoller.

Corinne Reimann: Dem kann ich nur zustimmen. Schlussendlich muss die Baubranche wirtschaftlich agieren. Insofern müssen entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden oder Subventionen den Einsatz dieser Materialien fördern, wenn wir grossflächig CO2-neutral oder gar CO2-negativ bauen wollen. Sobald dies aber geregelt ist, dauert es aus meiner Sicht keine Jahre mehr, bis diese innovativen Materialien in der Wirtschaft grossflächig Fuss fassen werden. Denn dieser neue Beton kann, Stand heute, fast genauso gehandhabt werden wie herkömmlicher Beton, sprich: Die Branche braucht keine grossen Veränderungen an ihrer Infrastruktur und ihren Lieferketten vorzunehmen.

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NEST-Unit «Beyond Zero»

Die NEST-Unit «Beyond Zero» fördert vielversprechende CO2-reduzierte und CO2-negative Innovationen im Baubereich und zeigt, ob und wie Gebäude als Kohlenstoffsenken wirken können. In der Unit werden neuartige, an der Empa entwickelte Baumaterialien wie Beton und Isolationsmaterial verbaut, die Kohlenstoff aus der Atmosphäre binden können. Das Projekt analysiert dabei auch die globale Machbarkeit derartiger Technologien und liefert Hinweise, wie die Transformation der Baubranche gelingen kann. «Beyond Zero» befindet sich derzeit in der Planungsphase. Weitere Informationen: nest.empa.ch/beyondzero

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