KVA spielen prominente Rolle in der Energiewende
Kehrichtverwertungsanlagen spielen in Zukunft eine nicht unerhebliche Rolle bei der Bewältigung der Energiewende. Am zweiten Forum Sektorkopplung an der Fachhochschule (FH) OST, Campus Rapperswil-Jona, wurden Perspektiven der saisonalen Energiespeicherung und der Negativemissionstechnologie «Carbon Capture and Storage» erörtert.
Manuel Fischer
Boris Meier vom Institut für Energietechnik (IET) an der FH OST sprach zum Forschungsprojekt «Sektorkopplung in ‹Green Energy Hubs› ». Ziel ist eine saisonale Energiespeicherung im grossen Stil. Mit anschaulichen Schilderungen übermittelte er dem Publikum das Bild einer energieintensiven Schweiz, welche an Energieknappheit im Winter leidet beziehungsweise regelmässig Gefahr läuft, in eine Strommangellage zu geraten. Auch in Zukunft wird hierzulande eine höhere Stromproduktion in den Sommer- als in den Wintermonaten zu erwarten sein. Die Zukunftsprognose laut Energieperspektiven 2050+ des Bundesamtes für Energie: Auch mit starkem Zubau von Photovoltaik-Anlagen wird diese so genannte Winterstromlücke noch immer mindestens 9 TWh ausmachen.
Option Langzeitspeicherung
Meier veranschaulichte vier Optionen, die Winterstromlücke zu decken, wovon die ersten drei (Weniger Strom brauchen im Winter; Stromimport; mehr Strom erzeugen im Winter) als wenig realistisch erscheinen. Vielmehr sei der Ansatz der «saisonalen Speicherung von Sommerstrom» energiepolitisch immer noch «unter dem Radar», aber vielversprechend. Bezeichnend sei, dass die saisonale Energiespeicherung auf Basis von Wasserstoff (H2) in den EP+ 2050+ nicht einmal skizziert worden sei. Die saisonale Speicherung von Energie werde mittels Stauseen bereits jahrzehntelang praktiziert. Die Kapazitätsgrenze sei aber schon erreicht. Hingegen sei das Potenzial für chemische Energiespeicherung beliebig gross, in den Aggregatszuständen flüssig oder gasförmig. Die in Frage kommenden Stoffe sind bekannt: H2, Methan (CH4), Ammoniak und Methanol.
Deren Vorteile sind klar: Hohe Energiedichte, wenig Platzbedarf, beliebig skalierbar, kaum Speicherverluste. Die Nachteile: Es handelt sich z.T. um brennbare, explosive Stoffe und die Herstellung ist nicht ohne Umwandlungsverluste machbar. Ammoniak und Methanol bieten sich als Speichermedium für Wasserstoff an; so kann Ammoniak in kälteisolierten Tanks mit geringem Energieaufwand langzeitlich gespeichert werden.
Die hierzulande in einer KVA bereits installierte Power-to-Gas-Pilotanlage funktioniert folgendermassen: Bei einem saisonalen Überangebot an Strom wird mittels eines Elektrolyseurs – als erster zentraler Bestandteil einer Power-to-Gas-Anlage – unter Zuführung von reinem Wasser H2 produziert. Anschliessend wird in Form eines Synthesegasverfahren in einem Bioreaktor Methan hergestellt.
Flüssiglagerung, Rückgewinnung
Beim Forschungsprojekt «Green Energy Hubs» ist mittels einer vorgängigen Hochtemperatur-Elektrolyse eine direkte Umwandlung von Wasserstoff unter Kombination von CO2 zu Methanol vorgesehen. Das so hergestellte und speicherbare Methanol hat den Vorteil der Lagerung im flüssigen Aggregatszustand bei Umgebungstemperatur gegenüber den unter Kompression und Kühlung (-165˚C) zu lagerndem Methangas. Der energiereiche Stoff kann bei Bedarf über eine Direktmethanol-Brennstoffzelle oder über ein Blockheizkraftwerk (BHKW) rückverstromt und die Abwärme aus dem Prozess genutzt werden.
Der mannigfaltige Vorteil: Energie zur Verfügung halten, in Zeiten, wo sie benötigt wird, und zwar in Form von a) Abwärme, die in bestehende Fernwärmenetze eingespeist werden kann, ebenso b) in Form von elektrischem Strom, um so beispielsweise Wärmepumpen im Winter mit Strom zu versorgen oder Stromtankstellen zu bedienen oder c) eine H2-Tankstelle zu versorgen.
Man zielt auch auf die Skalierbarkeit des von mehreren Partnern (Forschungsinstitute, Unternehmen) unterstützten Projekts: Das Potenzial wäre hierzulande mit 29 KVA gross, um diese Mehrfachziele grossskaliert zu erreichen: Saisonale Energiespeicherung, Produktion von klimaneutralem Brenn- und Treibstoff, bedarfs- und zeitgerechte Bereitstellung von Wärme und Strom, Vermeidung von Kohlenstoffdioxid (CO2). Zu den Randbedingungen gehört u.a. ein genügendes Angebot (Überangebot) an Strom im Sommer.
Stromabsatzmarkt vs. Elektrolyse
Die Energiemengen und gemeinwirtschaftlichen Leistungen, die über eine KVA zur Verfügung gestellt werden können, sind zwar eindrücklich: Doch was volkswirtschaftlich und ökologisch in einem Gesamtkonzept Sinn macht, muss unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten einer genaueren Prüfung standhalten. Die Gestehungskosten für H2 sind in Beziehung zu setzen mit den Markterlösen für Strom. Matthias Berthold vom Institut für Energiesysteme (IES) an der OST konnte zeigen: Im Jahresverlauf korreliert der günstige Strompreis am europäischen Markt mit der massenhaften Einspeisung von Elektrizität aus erneuerbaren Quellen wie etwa Windkraft oder Photovoltaik. Bereits im Winterhalbjahr 2021 zeigte der Strompreisindex nach oben und schoss mit dem Überfall russischer Truppen in die Ukraine in die Höhe; ein Knappheitssignal am Markt. Im Erwartungshorizont steigender Strompreise lohnt es sich für die KVA eher, Elektrizität ins Netz einzuspeisen. Elektrolyse für H2 hat sich in diesem Szenario nicht gelohnt. Inzwischen hat sich das geändert: Die Terminkontrakte für künftige Stromeinspeisungen tendieren wieder nach unten. Ausserdem wird eine tiefere Preisspreizung zwischen Sommermonaten (tief) und Wintermonaten (hoch) prognostiziert.
Direktabscheidung von CO2
Walter Furgler, Geschäftsführer der KVA Linth, präsentierte schliesslich ein Projekt rund um die Negativemissionstechnologien, das vom betriebseigenen "ZAR-CO2"-Kompetenzzentrum auf die Wege gebracht werden. Negativemissionstechnologien sind gemäss der bundesrätlichen Klimastrategie insbesondere bei schwer dekarbonisierbaren Branchen wie der Zementindustrie und Abfallverwertung unerlässlich, um bis 2050 klimaneutral zu sein. Im Vordergrund steht die Abscheidung von Kohlenstoffdioxid (CO2) direkt in der KVA sowie die anschliessende Nutzung oder Lagerung dieses CO2. Wird dieses abgeschieden und langfristig gelagert, spricht man von «Carbon Capture Storage» (CCS). Dabei wird das CO2 in geeigneten Gesteinsschichten oder unterirdischen, erschöpften Gas- und Ölfeldern gespeichert. Entsprechende Anlagen sind vor allem in Norwegen geplant oder bereits in Betrieb.
Im Rahmen dieses Projekts prüft die KVA Linth zurzeit die Kosten und Risiken für eine CO2-Abscheideanlage an ihrem Standort in Niederurnen. Fragen der Logistik (LKW, Pipelines) drängen sich unweigerlich auf, weswegen solche nur im Rahmen einer Projektpartnerschaft angepackt werden können.
Laut dem Referenten sei die Ökobilanz der KVA Linth schon sehr gut: Nur 91 kg CO2 würden pro Tonne Abfall ausgestossen. Und mit dem weiteren Ausbau der Fernwärme gelange die KVA bereits in die Nähe der Klimaneutralität aller betrieblichen Prozesse. Mit der Abscheidung von Kohlenstoffdioxid würde die KVA Linth ihre CO2-Bilanz weiter optimieren. Dabei verfolgt man mit dem Projekt ein ökologisch motiviertes Ziel: Je nach Ausschöpfung des Potenzials könnte sie künftig nicht nur komplett klimaneutral betrieben, sondern sogar negative Emissionen erzeugen, also mehr CO2 zurückzugewinnen, als die KVA Linth selber verursacht, da ungefähr 50 Prozent des Abfalls biogenen Ursprungs ist. Scheidet man auch dieses CO2 ab, entstehen Negativemissionen.
Impressum
Textquelle: Manuel Fischer
Bildquelle: Fachhochschule OST, Campus Rapperswil
Bearbeitung durch: Redaktion Phase 5
Informationen
Firma
www.ost.ch
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