Kreislaufwirtschaft zur Marktreife bringen
Eine digital gefertigte Treppe, die sich in den zweiten Stock windet. Eine hauchdünne, perforierte Betondecke, die den Schall absorbiert. Boden- und Wandmaterialien aus rezyklierten Abfallstoffen. Das neueste Gebäudemodul im Forschungs- und Innovationsgebäude NEST an der Empa ist ein Leuchtturm für materialsparende und energieeffiziente Bautechnologien. Die «STEP2»-Unit wurde Ende August 2024 offiziell eröffnet.
Quelle (Text / Fotos): EMPA
In der Schweiz verschlingt der Bausektor mit Abstand am meisten Rohstoffe, verursacht das grösste Abfallaufkommen und ist verantwortlich für ein Drittel aller CO2-Emissionen. Mit dem modularen Forschungs- und Innovationsgebäude NEST setzt sich die Empa gemeinsam mit über 150 Partnern aus Forschung, Wirtschaft und der öffentlichen Hand seit über acht Jahren dafür ein, dass neue Technologien und Materialien für ein ressourcenschonendes Bauen soweit entwickelt werden, dass sie den Sprung in den Markt schaffen.
Jüngstes Beispiel dafür ist die Unit «STEP2», die Ende August offiziell eröffnet wurde. Das zweistöckige Gebäudemodul ganz oben in der Südostecke von NEST vereint eine Reihe von Innovationen, die allesamt zum Ziel haben, den Material- und Energieverbrauch zu senken und einen kreislaufgerechten Umgang mit unseren Ressourcen zu fördern. «Gleichzeitig ist es uns ein grosses Anliegen, dass wir Lösungen entwickeln, die marktfähig sind und in der Baubranche tatsächlich eine Zukunft haben», sagt Enrico Marchesi, Innovation Manager im NEST. Im Dreiergespann mit dem Hauptpartner BASF und dem Architekturbüro ROK hat das NEST-Team der Empa deshalb jede Idee genauestens auf Marktrelevanz überprüft und mit den weiteren Partnern reale «Business Cases» entwickelt. «Für uns als Hauptpartner dient die ‹STEP2›-Unit dazu, das breite Chemie-Know-how von BASF in Zusammenarbeit mit den anderen Partnern in konkrete, neue und nachhaltige Lösungen für den Bausektor einfliessen zu lassen. Wir sind überzeugt davon, dass wahre, marktfähige Innovation nur entstehen kann, wenn Akteure entlang der gesamten Wertschöpfung auf Augenhöhe zusammenarbeiten», sagt Olivier Enger, Senior Innovation Manager bei BASF.
Ressourcenoptimierte Geschossdecke
Beim Betreten von «STEP2» sticht zuallererst die Decke ins Auge. Als Rippen-Filigrandecke konzipiert, erlaubt sie Spannweiten von bis zu 14 Metern und eignet sich damit besonders für den Büro- und Hochhäuserbau. Entwickelt wurde die Decke vom Architekturbüro ROK zusammen mit dem Ingenieurbüro WaltGalmarini und Stahlton. Mithilfe von eigens entwickelten digitalen Planungsmethoden und 3D-gedruckten Schalungen für die vorgefertigten Elemente konnten sowohl der Materialaufwand wie auch die CO2-Emissionen verglichen mit einer Beton-Flachdecke derselben Spannweite um rund 40% gesenkt werden. Neben ihrer strukturellen Funktion übernimmt die Decke zusätzlich weitere Aufgaben: Integrierte, 3D-gedruckte Boxen, die mit einem Tonschaum von BASF zur Schallisolation gefüllt sind, sorgen für eine angenehme Raumakustik, trotz schallharter Oberfläche. Ausserdem dient die Decke als thermische Speichermasse, wirkt damit ausgleichend auf die Raumtemperatur und ist ein wichtiger Bestandteil des Energiekonzepts der Unit.
Digital gefertigte Betontreppe
Ins zweite Stockwerk der Unit gelangt man über eine geschwungene Betontreppe mit dem klingenden Namen «Cadenza», die das symbolische Rückgrat des Gebäudes darstellt. Für die Treppe hat das Team rund um den Lehrstuhl «Digital Building Technologies» der ETH Zürich und das Architekturbüro ROK das volle Potenzial von computergestütztem Design und 3D-Druck ausgeschöpft. Die 17 Treppenstufen wurden mit einer einzigen wiederverwendbaren 3D-gedruckten Schalung gefertigt, die eine komplexe und äusserst materialreduzierte Form erlaubt. Die Vorspanntechnik des Empa-Spin-offs re-fer, die auf einer Formgedächtnislegierung basiert, fixierte die aufeinander gefädelten Stufen. In die Realisierung des auffälligen Bauteils floss zudem die Expertise der ehemaligen BASF-Tochtergesellschaft Forward AM und New Digital Craft im Bereich Material und 3D-Druck der Schalung, sowie des Betonfertigteile-Herstellers SW Umwelttechnik und des Ingenieurbüros WaltGalmarini ein.
Energiemanagement
Die weiteren Innovationsbereiche der «STEP2-Unit» betreffen das Energiemanagement und die Gebäudehülle. Das Ingenieurbüro WaltGalmarini hat für die Unit ein umfassendes Energie- und Behaglichkeitskonzept entwickelt. Die Fassade ist das zentrale Element, wenn es darum geht, das Raumklima zu optimieren und gleichzeitig die Energieeffizienz des Gebäudes zu steigern. Zum Einsatz kommt eine von Aepli Metallbau neu entwickelte Doppelhautfassade mit integrierter Beschattung und kontrollierter natürlicher Lüftung. Die Fassade ist selbst eine Versuchs- und Entwicklungsplattform: Mit wenig Aufwand können in den kommenden Jahren einzelne Module ausgewechselt und dadurch neue Technologien verbaut werden. In einer ersten Phase kommt etwa ein Fensterelement von New Digital Craft mit integrierter, 3D-gedruckter Struktur zum Einsatz, die dem Sonnenverlauf angepasste Beschattung liefert. Dafür brachte BASF im Bereich der digitalen Produktionstechnologien innovative 3D-Druckmaterialien ein, die zudem auch für den Druck der Treppenschalung verwendet wurden.
Upcycling
Nach den Prinzipien des Upcyclings hat BASF gemeinsam mit Partnern Verfahren und Materialien entwickelt, um aus Abfallstoffen leistungsfähige Oberflächenbeläge zu schaffen. Die Kombination bestehender Verarbeitungstechnologien mit neuer Bindemitteltechnologie und (Rest-)Rohstoffen erlaubt es, Holzfaserplatten wie auch Textilreststoff und Kaffeesatz durch thermoplastische Verformung dreidimensional zu gestalten. Damit wurden individuell geformte Wandpaneele für die Unit gefertigt. Die Wandpaneele wie auch die Bodenplatten wurden aus Reststoffen von rezyklierten Denim-Fasern, gebrauchten Pappbechern und Kaffeesatz mit Hilfe eines innovativen Bindemittels und leistungsstarken Beschichtungen hergestellt. Für den Küchenbereich wurde ebenfalls in bekannten Verfahren ein neues Bindemittel eingesetzt, um mit Kaffeesatz langlebige, hochwertige Möbeloberflächen herzustellen.
Auch für den Ausgleich sowie die thermische und akustische Dämmung des Unterbodens, einer Hohlboden-Konstruktion, wurde BASF-Materialien verwendet. Dafür kann zum ersten Mal ein spritzbarer, nicht brennbarer Tonschaum zum Einsatz.
STEP2» – eine reale Innovationsumgebung
«STEP2» ist als Co-Creation-Plattform und Innovationswerkstatt gedacht. Die Unit wird dem «Scouting & Academic Collaborations»-Team von BASF rund um Olivier Enger fortan als Arbeitsplatz dienen. Bereits seit mehreren Jahren pflegen BASF und die Empa eine strategische Partnerschaft; das Team ist seither auf dem Empa-Campus angesiedelt. Olivier Enger ist überzeugt: «Im NEST sind wir an der Schwelle zwischen Forschung und Wirtschaft und können mit unserer Expertise viel für einen erfolgreichen Brückenschlag zwischen Labor und Markt beitragen.»
Das NEST - das modular aufgebaute Demonstrator- und Experimentalgebilde für die Bauwirtschaft; hier mehr Details erfahren.
Impressum
Textquelle: EMPA
Bildquelle: EMPA
Bearbeitung durch: Redaktion Phase 5
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